26.09.2017

Ilona Jerger, Und Marx stand still in Darwins Garten. Berlin 2017 – 285 Seiten – 20,00€ - ISBN 978-3-550-08189-7 (Kopie 1)


Die Autorin Ilona Jerger hat im Jahr 2017 diesen Roman vorgelegt. Laut Klappentext ist das ihr erster. Sie arbeitet als freie Journalistin und war bis 2011 für 10 Jahre als Chefredakteurin der Zeitschrift „natur“ engagiert. Mit diesem Werk widmet sie sich einem Thema, das das Spannungsfeld Evolution, bzw. Revolution und Religion berührt und literarisch Fakten mit Fiktion verbindet.

Äußere Gestalt
Der Titel umfasst 285 Seiten. Davon erstrecken sich 16 erzählende Kapitel bis Seite 264. Es folgt ein Anhang mit einer Kurzbiographie zu Marx und Darwin und einem Kapitel „Fakten und Fiktion“, in dem Jerger die Idee für das Buch und deren literarische Umsetzung erläutert. Wer sich ein wenig vorab über die handelnden Personen und das Konzept des Buches informieren möchte, mag mit dem Anhang die Lektüre beginnen. Es ist aber genauso lohnend, sich erst von dem Roman fesseln zu lassen. Im Anschluss daran ist der Anhang nicht weniger gewinnbringend.

Inhalt
Anliegen für dieses Buch war nicht, die Evolutionslehre von Darwin oder die Soziallehre von Marx als Theorie in den Mittelpunkt zu stellen. Die Autorin wollte sich den beiden Hauptakteuren als Menschen annähern. Die leitenden Fragen waren: Was bewegte sie, wie lebten sie, was bestimmte ihren Alltag, was verband und was trennte sie? Ausführliche Briefwechsel der beiden in ihren jeweiligen Kontexten bildeten dafür die wesentlichen Fundgruben. Rein äußerlich verband Darwin mit Marx, dass sie markante Persönlichkeiten mit beeindruckenden Bärten waren. Darüber hinaus arbeiteten sie an Themen, die sie in Konfrontation zu Kirche und Religion brachten. Beide hatten biographisch ausgeprägte religiöse Wurzeln und beide schufen Werke, die die Welt bis heute bewegen. Sie waren auch Zeitgenossen und wohnten viele Jahre im Raum London, ohne sich persönlich zu begegnen. Die im Roman beschriebene Begegnung zwischen Darwin, Marx und anderen ist ein literarischer Kunstgriff, also Fiktion.
Die Erzählung nimmt wechselnd die Perspektive von Darwin oder von Marx ein. Rückblicke bieten Reflexionen zu beiden Persönlichkeiten. Der Hausarzt Dr. Beckett, der beide Männer behandelt, ist keine historische Figur, sondern ist fiktionale Ausstattung des Romans. Durch ihn werden bei Visiten Diskussionen zu den Themen Evolution und Revolution angestoßen. Durch ihn kann der Leser einen Blick in die häuslichen Gegebenheiten machen und erfährt einiges über die Persönlichkeiten. Darwin begann seine akademische Laufbahn als Student der Medizin, wechselte dann zur Theologie und nach einer 5-jährigen Segelreise auf der Beagle widmete er sich nur noch der Biologie. Die Entstehung der Arten wird zu seinem Lebensthema. Nachdem er entdeckte, dass diese sich wandeln können, wird für ihn das Bekenntnis eines Schöpfergottes fragwürdig. Er selbst sieht sich als Suchender, er aber wird von den Orthodoxen der anglikanischen Kirche als Ketzer verdammt. Von der erwachenden atheistisch gestimmten Naturwissenschaft jedoch wird er als jemand beklatscht, der den Schöpfer abgeschafft hat. Verheiratet war er mit Emma Wedgwood, die sehr gebildet und sehr fromm war. Sie sorgte sich darüber, nach dem Tod mit ihrem Mann im Paradies nicht wieder zusammen zu kommen.
Marx hatte sich wegen seiner Krankheiten an seinen Freund Engels gewandt, der ihm Dr. Beckett als Hausarzt empfahl. Dieser machte fortan Visiten im Haus Marx. Der Arzt war selber atheistisch gestimmt, wurde wegen dieser Einstellung aus einem Krankenhaus entlassen und verdiente sich sein Einkommen durch seine eigene Praxis und die Hausbesuche. So wird der Leser mit Jenny Marx und der Haushälterin Lenchen bekannt. Man erfährt etwas über die jüdische Herkunft, die wissenschaftlich akribische Arbeitswut von Marx, die finanzielle Abhängigkeit von Engels und die Schwierigkeiten, eine komplexe Sozialanalyse auch für die breite Masse lesbar zu formulieren.
Höhepunkt des Romans bildet das Kapitel „Tischgebet mit Ungläubigen“ (S. 164ff.) Ein Freidenkerkongress findet in London statt und einige der Delegierten möchten Darwin einen Besuch abstatten. Eine der Personen ist mit Marx bekannt und nimmt ihn einfach zu dem verabredeten Dinner im Hause Darwin mit. Am Tisch saßen auch Emma Darwin und Pfarrer Thomas Goodwill, deren seelsorgerlicher Freund. Emma ließ sich an diesem Abend nicht den Mund verbieten und belebte die Runde der Freigeister mit frommen Argumenten, brachte ihren Mann mal um mal in Verlegenheit, dem nicht an einer kontroversen Runde gelegen war. Marx und Darwin, beide hatten den Himmel leer geräumt – diese These schwebte über dem Dinner und mit unterschiedlicher Intensität wurden Konsequenzen diskutiert. Aber wie vertrugen sich die Konkurrenz der Arten und die Solidarität der Abhängigen und Entrechteten miteinander? Darwin wollte sich nicht vor den Karren der Freidenker spannen lassen und sah sich primär als Suchender, der die Natur erforscht und keine Politik macht. Im Roman sagt er: „Übrigens bin ich kein Atheist…Könnte es nicht sein, dass sich Gott statt in Wundern in Naturgesetzen äußert?“ (S.224f.)

Für wen ist dieses Buch interessant? Dieses Werk trifft auf ein facettenreiches Publikum. Es ist interessant für Leser, die ein unterhaltsames Buch mit biographischen Aspekten lieben. Es lohnt sich auch für Leser, die offen sind, nebenbei etwas zu erfahren zum Themenfeld Biologie, Soziallehre und Religion. Ich empfehle es ebenso allen, die sich den Fragen, für die Marx und Darwin stehen, durch einen Roman annähern wollen. Für sie ist dieser Roman ein denkbarer Einstieg. Er eignet sich aber genauso als Vertiefung für diejenigen mit Vorkenntnissen. Das Werk verwendet keine Fachausdrücke und ist dadurch wohltuend verständlich. Und es zeigt, dass die Thesen von Marx und Darwin weiterhin aktuell und bedenkenswert sind – gerade für Christen. Manche Kapitel des Buches lohnen sich sicher als Stoff für Diskutier- oder Gesprächsrunden in der Bildungsarbeit.

Wilfried Oertel
2. Jan 2018

 

 

 

 


 
 
 
 
Ilona Jerger, Und Marx stand still in Darwins Garten. Berlin 2017 – 285 Seiten – 20,00€ - ISBN 978-3-550-08189-7 (Kopie 1)
 

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