Zweieinhalb Jahre an der Mescheder Moschee - Halbzeit für Hodscha Vedat Tekin
Vor der Wohnungstür stehen Kinderrädchen. Die Blumentöpfe neben den Stufen warten auf die Frühlingssonne. Diese Details zeigen: Hier wohnt eine Familie mit Kindern. Es handelt sich um Familie Tekin, die seit zweieinhalb Jahren hier in Meschede lebt. Der Vater ist Vedat Tekin. Er ist der Hodscha, d.h. der Vorbeter der muslimischen Gemeinde mit der Moschee an der Jahnstraße. Nun ist Halbzeit für ihn. Im Herbst 2016 endet die Zeit in Deutschland für ihn und seine Familie.
Mit welchen Erwartungen blickten Sie auf diese kommenden Monate?
Die vergangene Zeit diente vor allem dazu, die Gegebenheiten der Gemeinde zu entdecken. Nun möchte ich im Blick auf die Zukunft mehr Aktivitäten für die Jugendlichen der Gemeinde anbieten.
Gibt es im Rückblick Erfahrungen, die Ihnen besonders wichtig erscheinen?
Neu für mich war, dass der Vorbeter hier eine komplexe Rolle wahrnimmt. Er ist in einer Person Vorbeter, Prediger, Lehrer, Berater und Moderator in gemeindlichen und persönlichen Angelegenheiten. Bei der Ausführung dieser vielfältigen Aufgaben hat sich der Umgang mit den Jugendlichen als große Herausforderung herausstellt, was aber gleichzeitig meinen Horizont als Hodscha bereichert hat.
Gibt es neben dem Schwerpunkt Jugend noch andere Aspekte von hoher Priorität?
Aus meiner Sicht betrachten die Gemeindemitglieder Deutschland als ihr Heimatland. Doch tauchen auch manchmal Fragen und Klagen auf wegen Nachteilen aufgrund der Religion. Eine soziale und gerechte Lebensgrundlage wäre wünschenswert, auf der sich jede Bürgerin und jeder Bürger wohlfühlt. Deshalb sollte die Religionsfreiheit für alle gleichermaßen gelten.
Wie würden Sie das Verhältnis der Mescheder Moscheegemeinde zur allgemeinen Öffentlichkeit beschreiben? Gibt es Möglichkeiten der Verbesserung?
Die muslimische Gemeinde hat eine gute Beziehung zur allgemeinen Öffentlichkeit. Fernab von irgendwelchen Anzeichen des Fremdseins versuchen unsere Mitglieder fast überall gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Ihr Engagement rührt in erster Linie aus einer positiven deutsch-türkischen Grundhaltung heraus. Sicherlich gibt es Möglichkeiten der Verbesserung, aber das hat auch mit finanziellen und personellen Voraussetzungen zu tun, die die Gemeinde an ihre Grenzen bringen.
Und wie beschreiben Sie das Verhältnis zur katholischen und evangelischen Ortsgemeinde? Gibt es auch hier Möglichkeiten der Verbesserung?
Das Verhältnis ist gut bis sehr gut. Zugleich ist es auch ausbaufähig. Laut Koran zählen die Christen zu jenen Schriftbesitzern, die den Muslimen am nächsten sind. Entsprechend dieser Feststellung ist es sogar eine religiöse Pflicht, die Beziehung zu den katholischen und evangelischen Ortsgemeinden permanent auszubauen. Für die Enkelkinder Adams gibt es einen großen gemeinsamen Nenner. Dieser Nenner sollte gepflegt werden durch gegenseitige Einladungen, regelmäßige Gespräche und gemeinsame Projekte.
Gibt es einen speziellen persönlichen Wunsch für Hodscha Tekin für die nächsten zweieinhalb Jahre hier in Deutschland?
Ganz oben steht die Hoffnung auf eine doppelte Staatsbürgerschaft für alle türkischstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürger ohne jegliche Optionsauflagen. Daneben steht – mehr alltagspraktisch – der Wunsch, dass sich muslimische Schülerinnen und Schüler anlässlich des Ramadan- und Opferfestes ohne „Entschuldigung“ vom Unterricht befreien lassen könnten.
Zweieinhalb Jahre in Deutschland zu leben, heißt auch Einblicke in das Leben hier zu bekommen und zu vertiefen. Gibt es etwas, was Sie im positiven Sinn berührt hat oder auch fremd geblieben ist?
Ich habe viele Gelegenheiten erlebt, die mir Eindrücke über das Leben hier verschafft haben. Gleichzeitig muss ich das relativieren wegen der begrenzten Zeit hier. Ich betone aber als besonderen Eindruck die Hilfsbereitschaft der Deutschen gegenüber Fremden.
Am Ende kommt das Gespräch noch einmal auf die Familie. Die Kinder gehen hier in Meschede zur Schule und in den Kindergarten. Konnten sich Ihre Kinder in diesen Einrichtungen zurechtfinden und haben sie Freunde gefunden?
Unsere älteste Tochter besucht derzeit die 5. Klasse des Benediktiner Gymnasiums. Die mittlere Tochter geht in die 1. Klasse der Marienschule. Und die Jüngste ist im Johanneskindergarten. Alle drei fühlen sich sehr wohl. Warum auch nicht? Schließlich haben die Schulen und Kindergärten in Deutschland eine tolle Ausstrahlung mit vielfältigen Räumen für Kommunikation und Freundschaft. Unsere Kinder erzählen immer wieder, wie schnell sie sich mit Gleichaltrigen und somit auch mit der deutschen Sprache befreundet haben. Das ist für sie ein Gewinn in doppelter Hinsicht.
Die Fragen stellte Wilfried Oertel, Beauftrgater für den christlich-islamischen Dialog im Ev. Kirchenkreis Arsnebrg.